Demenz-Institut in der Kritik
60 Millionen Euro für falsche Forschung am falschen Ort?
13.03.2008
Die Ankündigung am Welt-Alzheimer-Tag klang vielversprechend. "Demenzkranke gehören in die Mitte unserer Gesellschaft", sagte Gesundheitsministerin Ulla Schmidt im September 2007. "Wir dürfen sie, ihre Angehörigen und die Pflegenden nicht allein lassen." Dazu gehöre bedarfsgerechte Versorgung und mehr häusliche Pflege. Dies sei "eine Orientierung an Selbstbestimmung und Menschenwürde". Forschungsministerin Annette Schavan kündigte sogar an, ein Forschungszentrum zur Bekämpfung von Demenzen zu gründen und mit jährlich 60 Millionen Euro zu fördern. "Was hilft Betreuern, sich Kranken so zuzuwenden, wie sie es brauchen und annehmen können? Wo sind Orientierungslinien für die schweren ethischen Entscheidungen?", fragte Schavan seinerzeit.
Am Dienstag gab die Ministerin nun bekannt, wo das Nationale Forschungszentrum angesiedelt wird. Der Standort Bonn biete "eine exzellente Basis in den Klinischen Neurowissenschaften. Daneben gelingt Bonn in besonderer Weise die Umsetzung interessanter Forschungsbefunde in die klinische Praxis". In das Zentrum eingebunden werden das Uniklinikum Bonn, das Max-Planck-Institut für Alternsforschung in Köln und das Helmholtz-Forschungszentrum Jülich. Dem Kernzentrum stehen sechs Partnerstandorte in Göttingen, München, Tübingen, Magdeburg, Witten und Rostock/Greifswald zur Seite. Von der Fördersumme entfallen 40 Millionen Euro jährlich auf Bonn, Köln und Jülich sowie zwischen zwei und fünf Millionen Euro auf die anderen Standorte.
Wieso Bonn, wo ist das Umfeld?
Kaum wurde der Zuschlag für Bonn verkündet, ist die Kritik groß. "Das ist rein politisch entschieden worden", sagt der Münchner Demenz-Forscher Christian Haass. "So kann man mit Steuergeld nicht umgehen." München werde zwar von der Kommission in der Demenz-Forschung "Weltniveau" beschieden - "aber dann fragt man sich: warum Bonn, wo ist da das Umfeld?" Würde man Experten aus dem Ausland anrufen, fiele ihr Votum für München oder Tübingen aus.
Bereits vor der Entscheidung wurde das Verfahren kritisiert. Im Januar 2008 wurde das geplante Institut in "Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen" umbenannt. Mit der Namensänderung ging einher, dass jetzt "exzellente Grundlagenforschung" im Vordergrund stehen sollte. Zwar hieß es in dem Schreiben auch, dass Versorgungsforschung eine Rolle spielen sollte. Die Besetzung der Kommission, die über die Anträge entschied, ließ jedoch Zweifel aufkommen.
Mit Otmar Wiestler vom Krebsforschungszentrum, dem Tübinger Hirnforscher Johannes Dichgans, dem Göttinger Psychiater Peter Falkai und dem Heidelberger Molekularbiologen Konrad Beyreuther sind vier der fünf Kommissionsmitglieder der Grundlagenforschung zugetan. Olivia Dibelius, Pflegeforscherin aus Berlin, sollte wohl die Wissenschaft außerhalb des Labors repräsentieren.
Am Patienten vorbei geforscht
"Natürlich ist Grundlagenforschung wichtig. Aber vorläufig leistet diese Arbeit nichts für Patienten", sagt Michael Kochen, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin. "Bedürfnissen der Kranken und ihren Angehörigen entspricht das nicht", sagt Hendrik van den Bussche, Chef der Allgemeinmedizin am Uniklinikum Hamburg. So hätte die Gründungskommission mit Ausnahme von Dibelius keine Ahnung von Versorgungsproblemen der Patienten - "sie sehen ja auch keine, sondern sind ständig im Labor", sagt van den Bussche. "Bei den Partnerstandorten Witten und Rostock steht die Versorgungsforschung doch im Vordergrund", entgegnet Wiestler. "Dieser Bereich muss aber noch weiter ausgebaut werden."
Irritationen löste zudem die Ausschreibung aus. Auf zwei Seiten teilte die Gründungskommission den Universitäten am 21. Januar 2008 mit, dass Interessierte bis zum 25. Februar einen Konzeptvorschlag "von nicht mehr als zehn Seiten" einreichen könnten. "Das ist extrem ungewöhnlich", sagt van den Bussche. "Für ein Forschungsprojekt von 500 000 Euro gibt es mehr Zeit und ein ordentliches Verfahren - und hier gibt es für 50 Millionen eine Schnellausschreibung im kleinen Kreis." Christian Haass hält das Verfahren für "einen Scherz", da jeder Antrag über einen Bruchteil der Summe heute international begutachtet werde. "Nicht mal eine Begehung vor Ort hat stattgefunden", kritisiert Haass.
Otmar Wiestler kann die Kritik nachvollziehen, "aber wir hatten den Auftrag der Ministerin, bis Ostern zu entscheiden". Zudem bestehe die Kommission aus internationalen Experten, die sich einmütig für Bonn ausgesprochen hätten. "Das Verfahren war ungebührlich und unangemessen", sagt van den Bussche. "Man hat den Eindruck, dass alles abgekartet war." Haass wird ähnlich deutlich: "Ich habe das Gefühl, hier wird wissenschaftliche Exzellenz mit Füßen getreten."
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